MoneyLetter Juni 2023

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Nach Artikel 20 des Grundgesetzes ist die Bundesrepublik eine Demokratie. In dieser Staatsform übt das Volk die Herrschaftsgewalt aus. Demokratien zeichnen sich unter anderem durch Achtung der Menschenrechte, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Unabhängigkeit der Gerichte, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, ein Mehrparteiensystem sowie freie, gleiche und geheime Wahlen aus. Die Bundesrepublik ist eine repräsentative Demokratie, in der das Volk durch gewählte Volksvertreter „herrscht“. Diese Volksvertreter bilden den Bundestag, der das einzige unmittelbar demokratisch gewählte Verfassungsorgan ist.

Klingt gut und das ist es wohl für die meisten Bürger auch. Nicht so gut ist es allerdings, wenn die mühsam erarbeitete Demokratie für die Zwecke einiger weniger missbraucht wird. Wenn die vom Volk gewählten Volksvertreter nicht dem Volk dienen, sondern ihren eigenen Interessen, was umgangssprachlich auch als „Korruption“ bezeichnet wird und strafbar ist. Nicht strafbar hingegen ist eine Form der Einflussnahme, die sich „Lobbyismus“ nennt. In Wikipedia steht dazu folgendes: Lobbying ist ein Aspekt des öffentlichen politischen Entscheidungsprozesses in Demokratien und ist nicht per se eine unmoralische Praxis. Das Herantragen von Interessen an Entscheidungsträger gehört zum Wesensmerkmal parlamentarischer Demokratie und lässt sich dem intermediären Bereich zwischen Bürger und Staat zuordnen. Um Entscheidungen im Gesamtinteresse der Gesellschaft treffen zu können, müssen Politiker sich über hochkomplexe Fragestellungen und Inhalte informieren. Dabei sind sie auf gut aufbereitete Informationen und Argumente verschiedener Interessengruppen angewiesen.

Was durchaus plausibel klingen mag, ist bei einem Blick hinter die „Lobby-Kulissen“ hochproblematisch. Vor allem beim Thema Geld und dem einhergehenden Einfluss der Finanzlobby. Diese ist die größte Lobbystruktur in Deutschland und wird laut der Bürgerbewegung „Finanzwende“ von der Finanzindustrie mit einem Jahresbudget von rund 200 Millionen Euro ausgestattet. Damit lässt sich viel „Interesse an Entscheidungsträger herantragen“, vor allem das eigene. Ein wichtiges Interesse seitens der Finanzlobby scheint der Status quo zu sein. Schließlich wurde jahrzehntelang mit viel Aufwand und Geld darauf hingearbeitet, die Einnahmemöglichkeiten der Finanzindustrie zu „optimieren“. Dazu gehört
unzweifelhaft auch das gängige Vergütungsmodell namens Provision. Da passt es so gar nicht ins Konzept, wenn Verbraucherschützer oder gar die EU ein Provisionsverbot erwirken möchten. Schließlich wäre es dann vorbei mit den üppigen Provisionseinnahmen, auf die die Finanzindustrie regelrecht angewiesen ist.

Provisionsprodukte – auch Bruttopolicen genannt – beinhalten Kosten, die während der Vertragslaufzeit auf die Kunden umgelegt werden. Diese setzen sich aus verschiedenen Gebühren für die Gesellschaft sowie Provisionszahlungen für die Berater zusammen. Davon bekommen die Kunden in aller Regel wenig mit, da dies „geräuschlos“ von dem Geld abgezogen wird, welches sie zum Beispiel für ihre private Altersvorsorge einzahlen. Und wer kennt schon die Gesamtkosten seiner Verträge sowie deren Auswirkungen? Das bei vielen der Kostendurchblick fehlt, wird oft gnadenlos ausgenutzt, zum Beispiel durch eine hohe Gesamtkostenquote.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kurz BaFin schreibt dazu in ihrem Journal: Sind die Kosten solcher Produkte zu hoch, kann die Rendite unangemessen niedrig ausfallen. Dann reichen die Sparbeiträge der Versicherungsnehmerinnen und –nehmer möglicherweise nicht aus, um spätere Versorgungslücken zu vermeiden.

Dass dies vor allem auf Finanzprodukte zutrifft, die von einem großen Teil der Bevölkerung genutzt werden, ist sicher kein Zufall.  

Finanzprodukte

Ein weiteres Problem ist, dass je nach Produkt und Gesellschaft die gezahlten Provisionen unterschiedlich hoch ausfallen können. Damit ist die Versuchung groß, dass der Berater zu dem Produkt mit der höheren Provision greift, auch wenn es nicht das Optimale für den Kunden ist. Dass der Berater nur dann Geld verdient, wenn er entsprechende Produkte an den Mann oder die Frau bringt, ist ein weiterer Kritikpunkt in Sachen Provisionsberatung. Ein Honorarberater verdient sein Geld auch dann, wenn er wie ein Anwalt oder Steuerberater nur beratend für seine Kunden tätig ist. Der Provisionsberater bekommt dafür nichts. Um Geld zu verdienen, ist er auf den Verkauf von Produkten angewiesen. Was ist aber, wenn der Kunde eine fundierte Beratung anstatt einem neuen Produkt benötigt? Wie objektiv und motiviert ist eine Beratung, wenn sie nicht vergütet wird? Ist die Gefahr nicht groß, dass der Provisionsberater am Ende dann doch wieder zu dem ein oder anderen Produkt rät? Aus den genannten Gründen fordern Verbraucherschützer schon lange ein Provisionsverbot in Deutschland. Genau wie die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde. In vielen Ländern gibt es bereits ein solches Verbot oder es wird darüber diskutiert. Auch in Deutschland gab es diese Diskussion schon öfters, die Umsetzung scheiterte aber bisher vor allem an dem massiven Widerstand der Finanzlobby.

Nicht jeder Provisionsberater ist automatisch ein schlechter Berater und auch die Honorarberatung kann missbraucht werden. Viel hängt von den Werten des jeweiligen Beraters ab. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: durch die direkte Vergütung seiner Kunden verfügt der Honorarberater über eine andere Arbeitsbasis. Zum einen ist er – wie bereits erwähnt – nicht auf den Produktverkauf angewiesen. Zum anderen kann er seinen Kunden bei Bedarf deutlich günstigere Finanzprodukte an die Hand geben. Das ist wichtig, denn am Ende sorgt ein Finanzprodukt für den Kapitalaufbau und nicht der Berater. Der Provisionsberater kann noch so gute Absichten haben, wenn die von ihm vermittelten Produkte zu hohe Kosten beinhalten, geht dies zulasten des Kapitalaufbaus. Wir selbst haben neun Jahre von Provisionszahlungen verschiedener Produktanbieter gelebt, kennen die aus Kundensicht negativen Begleiterscheinungen nur zu gut. Allein das war für uns Grund genug, bereits 2014 in die Honorarberatung zu wechseln. Ein beliebtes Argument seitens der Finanzlobby gegen die Honorarberatung ist, dass sich diese Form der Beratung nur vermögende Menschen leisten können. Das ist jedoch blanker Unsinn. Eine Honorarberatung ist nicht teurer als eine Provisionsberatung, ganz im Gegenteil. Unsere Mandanten sind ein Querschnitt durch die Bevölkerung und gerade Menschen, die noch kein Vermögen besitzen, sollten sich einen Honorarberater leisten.

Nach wie vor arbeiten rund 99 Prozent aller Finanzvermittler in Deutschland auf Provisionsbasis und die Finanzlobby tut alles, dass dies auch so bleiben kann. Ängste zu schüren ist dabei ein probates Mittel. Welcher Politiker kommt nicht ins Grübeln, wenn die Finanzindustrie im Falle eines Provisionsverbotes einen großen Teil der Bevölkerung dann mangels Berater in einer Art „Beratungswüste“ sieht. Tagtäglich analysieren wir Finanzprodukte, welche unsere Mandanten im Vorfeld bei Banken, Versicherungen, Finanzvertrieben oder Einzelberatern erworben haben. Dabei wird in einem erschreckenden Ausmaß sichtbar, wie schädlich Provisionsprodukte aus Verbrauchersicht sein können. Da stellt sich so manches Mal die Frage, ob „keine Beratung“ nicht doch die bessere Option gewesen wäre. Eine Mandantin brachte die Rendite-Analyse ihrer vor etlichen Jahren erworbenen privaten Altersvorsorge mit einem Wort recht treffend auf den Punkt: „Gruselig“.

Wie war das doch gleich: „Lobbying ist ein Aspekt des öffentlichen politischen Entscheidungsprozesses in Demokratien und ist nicht per se eine unmoralische Praxis.“

Wer sich intensiver mit dem Lobbyismus in Deutschland beschäftigt, könnte den Eindruck gewinnen, dass „unmoralische Praxis“ nicht ansatzweise zum Ausdruck bringt, welchen gesellschaftlichen Schaden diese Form der Einflussnahme mit sich bringen kann.

Wer sich diesbezüglich ein eigenes Bild machen möchte, kann dies eindrucksvoll mit der FinanzlobbyStudie „Im Auftrag des Geldes“ von Finanzwende. Die 89 Seiten lesen sich wie ein Wirtschaftskrimi und geben einen tiefen Einblick in die Machenschaften der Finanzlobby.

Hier Studie lesen

Passend dazu gibt es ein 3 Minuten-Video von und mit Dr. Gerhard Schick. Als ehemaliger Bundestagsabgeordneter kennt er die Auswüchse der Finanzlobby und bekämpft diese mit der von ihm gegründeten Bürgerbewegung „Finanzwende“.

Hier Video anschauen

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